Nikolai

EXPERIMENTAL GUITAR JAZZ

Angesichts dessen, wozu die Realität sich auswuchs,
ist das affirmative Wesen der Kunst, ihr unausweichlich,
zum Unerträglichen geworden.
-- Theodor W. Adorno --

Wie das Bild, das von der Camera Obscura projiziert wird, ist die Kunst ein Abbild der Realität. Augenscheinlich gegensätzlich entsteht durch die Dualität ein Bereich, ein Raum, in dem sich etwas ereignen kann, das uns angeht, angeht wie die Frage der Sphinx. Ein Rätsel, dessen Antwort wir selbst sind, so naheliegend, dass wir es nur erkennen können, wenn wir innehalten, wenn wir die Dinge in einem anderen, einem ungewohnten Blickwinkel sehen.

Die Musik von Nikolai Muck ist anders – ungewohnt, exzentrisch, frei von Klischees und anbiedernden Gefälligkeiten. Sie ist das Ergebnis eines tiefschürfenden Dialogs zwischen dem fragenden Subjekt und einer absurd erscheinenden Welt, die umso absurder erscheint, je eindringlicher man sie nach ihrem Sinn befragt.

Der Gitarrist aus Frankfurt, der sich durch sämtliche Genres von Metal über Jazz bis hin zu experimenteller Avantgarde-Musik spielt, pflegt einen ideokratischen Ansatz, der von tiefer Nachdenklichkeit zeugt. Wer lediglich Unterhaltung oder bloßen Genuss beim Musikhören erwartet, ist bei Nikolai an der falschen Adresse. Doch die Bereitschaft diesem Gitarristen auf seinen Exkursionen zu folgen, lohnt sich: Wenn in einem seiner sperrigen und von expressionistischer Roheit geprägten Neun-Minuten-Solo-Gitarre-Stücke der Kern der Dinge für einen Moment aufbricht und das Wesen zum Vorschein kommt.

Reflexions

Begegnung mit verklingendem Echo

Fantasie von Dominik Meier beim Hören von Camera Obscura

Ich hab den Weg an die Grenze gesucht, ich hab die Grenze gesehen, aus der Entfernung. Aber als ich fast da war, ich war nur noch ein wenig davon entfernt, kam so ein Typ auf mich zu, er hat mir gesagt, ich dürfe nicht weitergehen. Er hat mir eine Liste mit Büchern in die Hand gedrückt, die ich lesen sollte. Ich versuchte ihm zu erzählen, wie dringend ich über die Grenze müsste. Aber es war nichts zu machen. Ich konnte mich kreuz und quer stellen, wie ich wollte. Also gut, dachte ich mir, und packte meine Gitarre. Ich spielte ein Lied für ihn. Doch kaum hatte ich vier Takte gespielt, wurde ich ungeduldig, weil er mir nicht zuhörte.

Ich bin hier nicht an der richtigen Stelle. Warum soll ich für dich Musik machen, dachte ich mir. Ich hab eine Nachricht zu übermitteln. Verstehst du nicht, was ich sage? Aber es half alles nichts, er wollte mich nicht durchlassen. Also fing ich an zu lesen. Zuerst Nietzsche, ich hatte schon viel von ihm gehört. Man redete viel von dem Nihilisten und mir gefiel seine Kühnheit, sein Trotz, seine Entschlossenheit, wenn er Nein sagte. Jede beschissene Generation, die nach ihm kam, kannte ihn, wiederholte ihn, erfüllte seine Prophezeiung und machte ihn damit zum Propheten, ob es irgendjemand wollte, oder nicht.

Für eine Weile konnte ich es mir im Grenzgebiet gefallen lassen. Ich spielte einem mein Lied vor. Er fand es schön. Ich spielte dem zweiten mein Lied vor, auch er fand es schön. Ich spielte dem dritten mein Lied vor, auch er fand es schön. Aber in Wirklichkeit hörten sie nicht mich. Sie hörten ein Echo der vergangenen Generationen. Sie hörten das Lied, das schon von zig Generationen wiederholt worden war, so oft, dass der Staub alles bedeckte. Schluss damit, dachte ich mir, jetzt mach ich's auf meine Art!

Sound

Nikolai Muck: Gitarrist – Komponist – Instrumentalpädagoge

Nikolai Muck ist Berufsmusiker, Instrumentalpädagoge und Gitarrist aus Frankfurt am Main. Bereits im Alter von fünf Jahren erhielt er Geigenunterricht. Mit 16 war er sich sicher, dass er Profi-Musiker werden wollte und intensivierte sein musikalisches Schaffen an der E-Gitarre, damals angetrieben durch seine Faszination für Black Metal. Seither spielt er regelmäßig in Bands und Combos ganz unterschiedlicher Couleur, wie beispielsweise mit dem zazaischem Sänger ZeleMele, oder der Progressive-Rockband Living Senses.

Mit dem Jazzstudium an der Frankfurter Musikwerkstatt rückte die Improvisation in den Mittelpunkt von Nikolai Mucks Musik. Avantgarde-Musiker wie Thelonius Monk, John Zorn und Tom Waits wurden zu prägenden Einflüssen.

Auftritte mit verschiedenen Jazzformationen erweiterten den musikalischen Horizont von Nikolai Muck genauso wie das Engagement als Gitarrist bei der Klezmer Sängerin Rita Siegmann, dem Chanson Sänger Christian Alix und der slawischen Black Metal Band Morok.

Die Vielseitigkeit und Offenheit gegenüber unterschiedlichen Stilen spiegelt sich auch in Nikolai Muck Interessen abseits von Bühne und Proberaum wider. Nach dem Jazzstudium hat er begonnen Philosophie an der Goethe-Universität in Frankfurt zu studieren. Die Auseinandersetzung mit den Ideen von Theodor W. Adorno, Martin Heidegger sowie anderen Denkern übt Einfluss aus auf und ist Inspiration für sein musikalisches Schaffen.